King of Sartar
Buchrezension von Ingo Tschinke

King of Sartar ist auf dem Rollenspielsektor im Grunde eine völlig Neuerung. Bei diesem Buch handelt es sich nicht um einen Ergänzungsband für ein Rollenspiel und auch nicht um einen Roman, der sich an eine Rollenspielwelt anlehnt (wie Dragonlance oder Shadowrun), sondern um eine völlig für sich stehende Sammlung von gloranthaspezifischen Dokumenten.

Dieses Buch von Greg Stafford beinhaltet vieles davon, worauf die meisten Freunde der Welt Glorantha bereits seit langem gewartet hatten Der Autor und Schöpfer von Glorantha trägt mit diesem Werk deutlich zu der von den englischen und amerikanischen Fans proklamierten RuneQuest-Renaissance bei.

King of Sartar ist, wie bereits erwähnt, kein RuneQuest-Ergänzungsband, sondern eine in sich abgeschlossene Sammlung von Dokumenten. Epen und Sagen aus dem gloranthischen vierten Zeitalter, die sich mit der epischen Figur des Hohen Königs der Welt, Argrath, und der Bevölkerung vom Drachenpass und deren Historie befasst. Es lässt daher, aufgrund seines informativen Inhalts, als unerlässliche Quelle für auf Glorantha angesiedelte Kampagnen benutzen.

Wie der Einführung von King of Sartar zu entnehmen ist, handelt es sich bei dieser einmaligen Zusammenfassung einzigartiger Dokumente um den Versuch, zu ermitteln, was für einen Einfluss ein Held wie Argrath 600 Jahre nach seiner Herrschaft auf die Gegenwart und Zukunft hat.

Der Inhalt des Buches gliedert sich in sieben Themenbereiche auf, die sich in verschiedener Art und Weise mit der epischen Figur Argrath und dessen Umfeld auseinandersetzen.

Der erste Teil umfasst die „Annotated Argrath Saga“ (Kommentierte Argrath Saga) und schildert den Aufstieg des Helden Argrath und seinen Kampf und letztendlichen Sieg über das Lunare Imperium. In dieser kommentierten Ausgabe der berühmten Saga werden drei verschiedene Fassungen miteinander verbunden um dem Leser die Widersprüche, die sich aus den unterschiedlichen Fassungen dieser Saga ergeben, deutlich aufzuzeigen So finden sich in der Version des Südens deutliche Überschneidungen und Hinweise auf die Harreksaga, während in der Version des Nordens Jar-eel und die Reiche des Lunaren Imperiums eine stärkere Erwähnung finden Aber es werden durch diese Zusammenfassung auch eindeutige Widersprüche deutlich, wie der Autor es bereits in der Einführung zu dieser kommentierten Fassung erwähnt: so berichtet z.B. die Saga-Version des Südens, wie Harrek der Berserker Jar-eel in der Schlacht der Helden tötet und ihr das Herz aus dem Leib reißt, um es später als Schmuckstück um den Hals zu tragen; allerdings taucht Jar-eel eine Seite später in der Allgemeinversion der Saga ohne weitere Erläuterungen gesund und munter wieder auf. Im Allgemeinen kann man aber feststellen, dass die Argrath-Saga jedem Leser, auch glorantha-unerfahrenen, eine sehr gute und überschaubare Übersicht über die Geschehnisse der Heldenkriege gibt. Außerdem ist die Argrath-Saga eine gute Quelle für alle Spielleiter, die für eine epische Kampagne in der Zeit der Heldenkriege führen wollen.

Der zweite Teil des Buches befasst mit den sogenannten Zin-Briefen. Diese Briefe schließen sich sofort an die Argrath-Saga an, da es sich hierbei um den Schriftverkehr zwischen Zin und vermeintlichen Autor der Argrath-Saga, Doranda "the Quill", handelt. In den Zin-Briefen finden eine vollständige Aufzählung aller Könige Sartars und deren Taten, sowie eine Genealogie der Sartar-Dynastie.

„Orlanthi Mythology“ ist der dritte Teil des Buches, der sich mit den Mythen um den Gott Orlanth befasst. Im Gegensatz zu dem RuneQuest-Ergänzungsband „Gods of Glorantha“, in dem man Einblick in die Einheitsmythologie der Jrusteli-Gottlerner erhält, werden die Götter und deren Mythen in diesem Kapitel des Buches völlig aus der Sichtweise des Barbarenvolkes der Orlanthi dargestellt. Dies vermittelt dem Leser einen ganz neuen Einblick in die Anschauungen der Orlanthi in Bezug auf ihre Religion Am Beginn dieses Kapitels befindet sich eine Aufzählung aller Gottheiten, die als Freunde und Feinde für die Orlanthi von Bedeutung sind Die nachfolgenden Mythen reichen von der Schaffung der Welt bis hin zu Orlanths Kampf mit der Roten Göttin. Darunter finden sich auch viele Mythen, die Glorantha-Kennern bekannt sein dürften, aber auch solche, die vor der Erscheinung von „King of Sartar“ noch völlig unbekannt waren, wie auch die wohl vollständigste Darstellung der Lichtbringer-Queste, die bisher veröffentlicht wurde. Aus  diesen Mythen lässt sich viel auf das Brauchtum der Orlanthi ableiten, so z.B. was man als Gastgeschenke anzubieten hat bzw. welches die "Wahren Worte" der Begrüßung sind, warum die Orlanthis nach ihren Initiierungsriten ein Siegesfest feiern, u.v.m.

Das nächste Kapitel umfasst die „Composite History of the Dragon Pass“ (Zusammenfassung der Geschichte vom Drachenpass). Dieser Teil des Buches ermöglicht jedem Spielleiter, seine Kampagne historisch akkurat zu datieren Die Übersieht der Historie beginnt mit der Auslöschung der menschlichen Bevölkerung durch die Drachentöterkriege und geht danach über in die Schilderung der Herrschaft des Zentaurs Eisenhuf über den Drachenpass. Im weiteren folgen Darstellungen über die Entstehung des Volkes der Graslande und dessen vollständige Geschichte. Der nächste Teil befasst sich mit den Ursprüngen des Königreichs Tarsch. Die Zusammenfassung findet ihren Abschluss in der Geschichte des Königreichs Sartar von dessen Gründung im Jahre 1492 bis 1640 S.T.

„The Argrath Book“ befasst sich mit Fragmenten der Geschichte und den Legenden um diesen Helden. In diesem Kapitel findet sich auch eine Erläuterung zu Argraths Beziehung zu den Drachen und dem Imperium der Wyrmfreunde (welches, wie man im Buch erfährt, eigentlich die 'Wyrm Mind Collection" heißt), sowie einige Geschichten und Sagen die sich um seine Kampfgefährten drehen Das Kapitel mit dem Namen „Jalk´s Book“ gibt von allen Teilen des Buches die genaueste Darstellung des tagtäglichen Lebens der Orlanthis wieder, sowie eine Beschreibung der Struktur ihrer Stämme und Clans. Dies wird durch das im Jalk 's Book enthaltene Colymars Book besonders deutlich, welches sich mit dem ältesten und mächtigsten Stamm in Sartar beschäftigt. Auch die Graslande finden im Jalk's Book nochmals Erwähnung wie auch die Hauptstadt des Königreichs Sartar BoldSchattenSeiten (Kühnheim) und andere kleinere Fragmente der sartaritischen Geschichte.

Seinen Abschluss findet das Buch in den „Conclusions“ (Schlussfolgerungen), die der Autor aus dieser Dokumentensammlung zieht.

Für jeden, der sich für die Welt Glorantha interessiert, ob nun Rollenspieler oder Fantasy-Leser, ist dieses Buch ein unbedingtes Muss. Durch den von Greg Stafford bevorzugten Stil zwängt dieses Buch keinem Spielleiter oder Spieler einen geschichtlichen Rahmen auf, der keine Kreativität mehr zulässt. Die Dokumente sind zur Entwicklung einer Kampagne lediglich ein Leitfaden, denn nach 600 Jahren kann sich das eine oder andere Missverständnis in Mythen, Sagen, Legenden und Epen durchaus eingenistet haben, so dass jeder Spielleiter für sich die Feststellung treffen kann, dass in der Wirklichkeit, sprich seiner Kampagne, sich das Betreffende etwas anders abgespielt hat. Der größte und wohl einzige Kritikpunkt, den man bei King of Sartar anbringen kann, ist es, dass einige Personen von besonderer Wichtigkeit wie Scheng Seleris, Jar-eel, der Rote Imperator u.a nicht näher beleuchtet werden, allerdings würde eine genaue Beschreibung dieser Personen, in Zusammenhang deren kulturellen und politischen Hintergründen, den Rahmen dieses Buches bei weitem sprengen.


King of Sartar
von Greg Stafford
Chaosium Inc; 1992
286 Seiten; (Out of Print)


Diese Rezension wurde entnommen aus „FreeINT“ Nr. 3 und ist © Copyright 1992, 2002 by Ingo Tschinke