Expeditionen - Ins Herz der Finsternis
Rezension von Karsten Sassenberg

Dieser Abenteuerband für das Cthulhu-Rollenspiel trägt einen Titel, der hohe Erwartungen weckt. In vielen Szenarien standen die Fundstücke im Mittelpunkt, welche von diversen Expeditionen in der weiten Welt geborgen wurden, um dann am Ort der Handlung für Unheil zu sorgen. Und es gab auch schon Szenarien, in denen die Spieler selbst Teilnehmer einer Expedition sein konnten. Aber wohl nur mit Ausnahme des „Beyond the Mountains of Madness“-Bandes (und hier drehte sich schließlich eine gesamte Kampagne nur um eine Antarktis-Expedition) wurden keine genauen Regelvorschläge gemacht, wie man den gegenwärtigen Zustand der Ausrüstung der Expedition festhalten kann. Und hier schafft dieser Band gelungene Abhilfe. Als Abschluss des Quellenteils wird ein einfaches System vorgestellt, mit dem der Spielleiter in Prozentwerten den Verbrauch von Ausrüstung, Proviant, Treibstoff verwalten kann. Auch Moral wird auf diese Weise erfasst, womit der SL einen Gradmesser hat, wann z.B. die Träger einer Expedition desertieren oder mehr Lohn verlangen. Einfach und ohne viel Aufwand, prima gelungen!
Der Quellenteil beleuchtet auf ca. 13 Seiten verschiedene Aspekte wie: Anlässe zum Zusammenstellen einer Expedition, Probleme, die auftauchen könnten, mögliche Ziele. Eine interessante und flüssig zu lesende Ideensammlung für jeden kreativen Spieleiter, der ein eigenes Szenario mit dieser Thematik erstellen möchte. Nur eines darf man nicht erwarten, und dies hebt der Autor auch früh hervor: einen vollständigen Überblick über alle Regionen der Erde. Wer denn nun eine Expedition nach Australien als Abenteuer schreiben möchte, der muss selber recherchieren. Mit den Anregungen des Quellenteils im Hinterkopf dürfte es aber nicht allzu schwer sein, aus Reiseführer-Informationen ein stattliches Abenteuer zu gestalten.
Und wer zu bequem ist, der kann ja noch auf die im Band enthaltenen 5 Szenarien zurückgreifen. Die meisten benutzen auch das vorgestellte System zur Ressourcenverwaltung.
„Ewiges Eis“ ist das erste Abenteuer, welches in den 20er Jahren spielt. Auf einer Zugfahrt nach Rügen wird ein Passagier im selben Abteil attackiert, in dem sich auch die Spieler aufhalten. Offensichtlich haben die Angreifer es auf Wachsplatten abgesehen, welche der schwedische Gelehrte bei sich führt. Die SC begleiten den Gelehrten nach Stockholm, um dort mit ihm diese Platten gemeinsam abzuhören, die der Schwede von einem kürzlich verstorbenen deutschen Freund geerbt hat. Die Ermittlungen führen die Spieler zuletzt auf die Spuren eines in Grönland vermissten Luftschiffes, und sie nehmen an einer Expedition zum vermuteten Absturzort teil. In Grönland angekommen, machen sich alle Teilnehmer verdächtig, mehr zu wissen als sie vorgeben, und es kommt zu einem heißen Finale in einer kalten Gegend. Insgesamt hat mir dieses Abenteuer nur mäßig gefallen, es fordert dem SL viel ab, dabei die Spannung zu halten.
Das zweite Abenteuer heißt „Herz der Finsternis“. Die SC nehmen an einer Expedition nach Belgisch-Kongo teil, um den legendären „Mokele Mbembe“ zu jagen. Bei dieser Kreatur scheint es sich um einen noch lebenden Dinosaurier zu handeln. Mit einem Dampfer geht es den Fluss hinauf, in unerforschtes Gebiet. Je weiter man vordringt, desto unheimlicher werden die Ereignisse, und der Optimismus, den Dinosaurier zu fangen, schwindet rapide. Dafür stößt man zuletzt auf eine unheimliche Ruinenstadt, in der schwarze Krieger ein Dorf errichtet haben, welches von einem weißen Mann namens Kurtz beherrscht wird. In der Einführung dieses Szenarios wird darauf hingewiesen, dass es sich an erfahrene Spielleiter wendet. Und auch solche dürften Probleme haben, die Handlung so zu präsentieren, dass sich die Spieler davon fesseln lassen. Es gibt viel Leerlauf, wenig echte Handlungsalternativen für die Spieler, und der Höhepunkt hat kaum etwas mit dem Cthulhu-Mythos zu tun. In der Einleitung wird erwähnt, dass dieses Szenario Motive aus dem gleichnamigen Roman Joseph Conrads wie auch aus dem darauf basierenden Film „Apocalypse Now“ verwendet. Aber musste denn nun der wichtigste NSC den gleichen Namen tragen wie in der Vorlage (wer nennt denn schon seinen NSC z.B. Hannibal Lecter oder Darth Vader)? Man sollte sich bei seinen Spielern vorher erkundigen, ob das Buch/ der Film bekannt ist und dann ggf. den Namen abändern. Wenig gelungen. Wer z.B. eine gelungenere Variante dieses Themas lesen und spielen möchte, sei an das englische Magazin „The Black Seal“ #3 verweisen, welche das Szenario „The Spiralling“ enthält, dieses spielt übrigens in der Gegenwart.
„Curso cannibale“ ist das dritte Abenteuer. Ein Spieler kann eine gewaltige Erbschaft einstreichen, aber leider nicht ohne weiteres zutun. Der verstorbene, entfernte Verwandte war Multimillionär und etwas schrullig. Nun hat er es für den Erben zur Bedingung gemacht, ein Wettrennen zu gewinnen, denn es gibt noch einen anderen Erbschaftskandidaten. Wer das Rennen macht, darf erben. Hierzu müssen die Konkurrenten eine bestimmte Strecke auf eigene Faust durch die Grüne Hölle Brasiliens möglichst schnell zurücklegen, den ersten Teil per Boot, den zweiten Teil zu Fuß. Beide Konkurrenten starten um mehrere Tage zeitlich versetzt.
Aber was tut man nicht für ein paar Millionen, nicht wahr? Schon geht es los, und der Zeitdruck treibt SC voran. Bis sie dann in einem Gebiet des Dschungels auf eine christliche Gemeinde stoßen, die unappetitliche Absichten hegt. Dieses Abenteuer ist rundum gelungen. Eine originelle Handlung, und ein Finale, das Hunger auf mehr macht. Dabei kann dieses Szenario übrigens sehr gut als Start einer Kampagne genutzt werden. Das Ganze kommt zudem in einem sehr witzigen Schreibstil daher, der das Lesen zu einem echtem Vergnügen macht.
„Die vergessene Stadt“ spielt in den Anden. Die legendäre Stadt Paititi wurde entdeckt, doch leider melden sich die Entdecker nicht mehr. Die SC sollen dort nach dem rechten schauen, und finden die beiden Entdecker in der alten Inka-Stadt lebend vor. So weit, so gut, doch schon bald zieht auch sie die uralte Inka-Stadt in ihren Bann. Was geht dort um, und was hat die beiden Entdecker so verändert? Ein fantastisches Abenteuer abseits der typischen Klischees, mit einem verblüffenden Ende. Auch erfahrene Cthulhu-Spieler werden sich noch sehr lange an diese Geschichte zurück erinnern!
„Die letzte Runde der Minna B.“ beschließt diesen Band. Dieses Szenario spielt in Neuguinea 1889. Es kann aber auch in 1920ern gespielt werden, die nötigen Informationen dafür stellt das Abenteuer zur Verfügung. Es beginnt damit, dass die Spieler in eine deutsche Kolonie in Neuguinea gesandt werden. Dort ist nämlich ein Matrose gefunden worden, der auf einem Schiff war, welches vor kurzem vor Norwegen verschwunden ist. Zwischen dem Verschwinden des Schiffes und dem Auftauchen des Matrosen liegen nur wenige Tage. Auf irdischem Wege kann der Mann niemals diese Distanz zurückgelegt haben. Also suchen die SC nach ihrer Ankunft in Neuguinea zunächst den Matrosen auf. Die Papiere, die er bei sich führt, belegen, dass es sich tatsächlich um den in Norwegen vermissten Matrosen handelt. Nachforschungen führen zu einem Eingeborenenstamm mitten im Hochland, wo diese den Matrosen gefunden haben. Das Geheimnis, welches die SC dort aufdecken, wird wohl alles übertreffen, womit sie gerechnet haben.
Auch dieses Abenteuer ist ganz hervorragend gelungen.

Der Band kommt wie gewohnt in schickem, robusten Hardcover daher. Sehr schönes Layout, stimmungsvolle zeitgenössische Bilder, ebenso stimmungsvolle Handouts und 172 Seiten Umfang, das macht schon optisch was her!. Wer einmal mit seinen Spielern eine richtige Expedition in die weite Welt starten möchte, der wird mit diesem Band sehr zufrieden sein.
Zum Abschluß noch ein Tipp: wer des Englischen mächtig ist, findet in dem Magazin „The Black Seal“ #3 viele nützliche Ergänzungen zu dem Thema Expeditionen, denen ein Umfangreicher teil dieser Ausgabe gewidmet ist. Hier werden Komplikationen bei der Anreise in Entwicklungsländer der südlichen Halbkugel vorgestellt, eine Umfangreiche Tabelle mit Tropenkrankheiten und ihre regeltechnische Auswirkungen und vieles mehr.


Expeditionen - Ins Herz der Finsternis
von Diversen
Pegasus Press; 2006
176 Seiten; € 24,95 (bei
Pegasus)