London - Im Nebel der Themse
Rezension von Karsten Sassenberg

Mit einigen Monaten Verspätung ist jetzt der London-Band erschienen. Als schickes Hardcover und in derselben Aufmachung wie das Spielleiter- und das Spielerbuch. In den Ecken des Titelbildes sind metallene Buchecken abgebildet, das Bild zeigt einige Wahrzeichen Londons, wie z.B. den Big Ben, und natürlich viel Nebel. Der große graue Schriftzug "London" sticht ins Auge, während der kleinere Untertitel "Im Nebel der Themse" im wahrsten Sinne des Wortes im Nebel des Bildes schwer zu erkennen ist. Im Vorwort des 233 Seiten dicken Bandes wird darauf hingewiesen, dass es sich hierbei NICHT um eine bloße Übersetzung des englischen London-Quellenbuches von Chaosium handelt, nein es ist eine eigenständige deutsche Produktion. Lediglich eine "Kleinigkeit" wie die Regeln für Verfolgungsjagden in Kutschen wurde lt. Vorwort übernommen, aus dem Band "Sacrament of Evil". Man hat mit diesem Band zum ersten Mal in der deutschen Cthulhu-Reihe neben den 1920ern auch die "Gaslicht"-Epoche der 1890er mit abgedeckt. Enthalten sind zwei Abenteuer, für jede Epoche eins. Damit wird ja allerhand versprochen, wie auch schon bei dem "Berlin"- Band, welchen ich dann mal als Referenz heranziehen möchte.

Nach einem Vorwort folgt in Kapitel 1 eine kurze Übersicht über die Entstehung Londons. "Streifzüge durch London" ist das zweite Kapitel, in dem berühmte Bauwerke wie z.B. "Westminster Abbey" vorgestellt werden, aber auch die verschiedenen Stadtteile, Geisterhäuser, Themse, die U-Bahn etc. Die Informationen kommen geballt und so gut aufbereitet, dass das Lesen eine wahre Freude ist. Kapitel 3, "Leben in London", bringt uns alle Aspekte des Alltages näher, der aus mehr besteht als nur Tee trinken. Sei es nun Slang, Scotland Yard, Amüsement, Strafgerichtsbarkeit, Sport (ja, auch die seltsamen "Kricket"-Regeln werden kurz vorgestellt) etc., hier findet man eine Menge, um das Leben in dieser Stadt im Spiel "zu erwecken". Damit diese Informationen endlich auch eingesetzt werden können, geht es in Kapitel 4 um das Thema "Als Spielercharakter in London". Kapitel 5, "Okkultismus und Mythos in London", beschließt den Quellenteil des Londonbandes. Hier findet man alles über Spiritismus, okkulte Gesellschaften wie die Freimaurer, den Golden Dawn, aber auch einen (fiktiven) Mythoskult. Dies ist eine leckere Auswahl, aus welcher sich der Spielleiter nur bedienen muss und eigene Abenteuer darum aufzuziehen oder sie hiermit zu würzen. Etwas in dieser Hinsicht fehlte in dem "Berlin"-Band völlig.
Kapitel 6, "Szenarien", beginnt auf Seite 134 (!). Der Quellenteil von "Berlin" endete schon auf Seite 31. Das erste Abenteuer, "Nebel der Themse", spielt im Jahre 1888 und ist somit für die Gaslichtepoche geschrieben. Es geht natürlich um DEN Mörder aus der Geschichte dieser außergewöhnlichen Stadt, JACK THE RIPPER. Gut recherchiert, mit äußerst liebevollen Handouts und mehreren Vorschlägen für die Zeitpunkte, an denen die SC in das Geschehen verwickelt werden können. Hat man Spieler, welche sich sehr gut mit der Geschichte dieses Mörders auskennen, werden sie einfach später in den Fall eingeschleust. Somit stehen diese mehr unter Druck, weil die ersten Morde haben sich schon ereignet haben. Somit werden auch "Ripper-Veteranen" nicht gelangweilt. Es gibt eine Menge interessanter NSC, Vorkommnisse und Verwicklungen. Ganz im Stil des Filmes "From Hell" wirft man im Laufe der Handlung einen Blick auf die Abgründe Londons und seiner Bewohner. Hinzu kommt eine schöne Auflösung. Aber Vorsicht, dieses Abenteuer dürfte aufgrund seiner Komplexität für Anfänger schwierig zu leiten sein.
Aber diese können sich ja das zweite Abenteuer, "Elwoods Kinder", vornehmen. Es setzt zur Abwechslung mal SC voraus, welche schon Erfahrung mit dem Mythos haben. Auf einer Fahrt auf der Themse erhalten die SC einen Hinweis auf eine verhängnisvolle Hinterlassenschaft. Dabei stellen sie schon bald fest, dass die Zeit drängt, denn die Gefahr wächst mit jedem Tag und droht schon bald ganz London zu verschlingen. Anschließend gibt es noch einen Anhang mit einer Zeitleiste zu wichtigen Ereignissen und besonderen Feiertagen, mit wichtigen Adressen wie Museen etc. und mit Preislisten für beide Epochen. Es folgt ein Straßenverzeichnis, welches sich auf die Straßenkarte Londons bezieht. Und das ist eine misslungene Lösung. Die Straßenkarte wurde in zwei Teilen in das Buch gedruckt: die nördliche Hälfte auf die Innenseite des Covers und die erste Seite, die südliche auf die letzte Seite und die Innenseite des Rückseite. Und das Straßenverzeichnis wurde im originalen Format belassen, so wie es auch heute noch bei den Touristenführern der Fall ist. Somit passen also 4 Verzeichnisseiten auf eine DIN-A-4-Seite, sind aber aufgrund des kleinen Formats nur mit Lupe gut lesbar. Und was soll das? Soll das Buch immer aufgeklappt über den Tisch geschoben werden, um den Spielern zu zeigen, wo sie sich gerade befinden? Eine beigelegte Karte zum Herausnehmen wie im "Berlin"-Band wäre nun wirklich schlauer gewesen als diese Lösung.
Der folgende Index über den Quellenteil beschließt den Londonband.

Also zunächst ein großes Lob für den Schreibstil der Autoren. Die Fakten werden spannend und düster präsentiert, und somit wird das Lesen zu einem wahren Vergnügen. Dazu ist die Informationsdichte dermaßen hoch, dass man auch bei erneutem Lesen neue Details und Inspirationen findet. Dazu ist der Band reich mit tollen Fotos illustriert und mit Abenteuerideen ergänzt. Die Informationen sind tatsächlich für beide Cthulhu-Epochen gut zu gebrauchen. Es ist interessant zu sehen, wie die Fuhrwerke der viktorianischen Zeit von den Autos verdrängt wurden, aber auch der Sitten- und Wertewandel wird deutlich. Im direkten Vergleich bietet der "London"-Band all das, was der "Berlin"-Band damals nicht bot. Wer in England und London spielen will, kann bedenkenlos zugreifen. Hier erwachen Sherlock Holmes, Big Ben, Scotland Yard und auch der Londoner Nebel zum Leben. Was die Qualität angeht, kann dieser Band der "Deutschland"-Box das Wasser reichen. Druckfehler sind mir bis auf S. 130, wo ein Abschnitt doppelt gedruckt wurde, nicht aufgefallen. Auch wer den Quellenteil aus der Box "Nyarlathoteps Schatten" besitzt, kann sich diesen Band kaufen. Nun steht ausgedehnten Abenteuern in London nichts mehr im Wege, sei es in der Gaslicht-Zeit oder in den 1920ern. Na gut, die Straßenkarte ist ein Minuspunkt, aber nur ein kleiner. Wer im Nebel Londons zu den Glockenklängen von Big Ben Dämonen a la John Sinclair jagen will (oder noch stimmungsvoller), ist hier richtig. Eine der besten Veröffentlichungen der Cthulhu-Reihe!


London - Im Nebel der Themse
von Diversen
Pegasus Press; 2004
234 Seiten; € 29,95 (bei
Pegasus)