Um Ulm herum
Rezension von Karsten Sassenberg

"Um Ulm herum" ist der neueste Quellenband für das Cthulhu-Rollenspiel und stattliche 176 Seiten dick. Er beginnt mit einem 16 Seiten umfassenden Überblick über die Schwaben und die schwäbische Alb. Hier werden die wichtigsten Städte und Sehenswürdigkeiten vorgestellt, sowie die Namen und Eigenarten welche so die Schwaben auszeichnen. Auf der Innenseite des Titelbildes ist zudem eine farbige Karte von Stuttgart abgedruckt.

Beide in diesem Band abgedruckten Abenteuer spielen in dieser Region, und verwenden zum Teil die gleichen Schauplätze sowie Personen.

Das erste Abenteuer "Unsere liebe Frau aus den Wäldern" von Steffen Schütte führt die Charaktere auf die Spuren einer Kultistengruppe, die sich in einem Kloster verbirgt. Bis die Spieler dies herausfinden, ist es jedoch ein langer und verschlungener Pfad. Denn ihre Gegner benutzen eine Substanz, um den "gelben Zauber" zu wirken. Dieser verändert die Erinnerung und Wahrnehmung der Bezauberten. Auf diese Art und Weise haben es die Verschwörer geschafft, sich schon seit Ewigkeiten zu verbergen und zu schützen. Immer wieder stoßen die Charaktere bei ihren Ermittlungen auf die Auswirkungen des Zaubers oder werden gar selbst davon betroffen.

Da aber zumindest einer der Charaktere durch ein Ereignis am Anfang der Handlung gegenüber diesen Zauber "immunisiert" wird, haben die Spieler eine Möglichkeit, den Auswirkungen des Zaubers zu entgehen. Dies ermöglicht ihnen dann auch die Entdeckung einer Höhle, in der sie dann Aufschluss darüber erhalten, was sich unter der Alb verbirgt, und dass es kein kosmischer Himmelskörper war, der durch seinen Einschlag das Nördlinger Ries entstehen ließ. Und sie erfahren, dass der Mensch nur Teil eines Planes ist, also keine Krone der Evolution.

Dieses Abenteuer hat schöne Begegnungen, die Gelegenheiten zu ausgiebigen Rollenspiel bieten. Ob es mürrische, aber nützliche Einheimische sind, oder ein Irrenhaus, in dem alles aus den Fugen geraten ist, oder gar ein Kloster, dessen Nonnen nicht alle Frauen sind und die ihnen anvertrauten Kinder furchtbar Mißhandeln. Jawohl, Kindesmißhandlung! Ich könnte mir vorstellen daß diese Thematik manchen Spieler unangenehm berühren könnte. Es wäre Ratsam diesen Umstand zu überlegen bevor man dieses Abenteuer mit seiner Gruppe spielt, gerade weil es nur ein Spiel ist.

Insgesamt ein schönes Abenteuer, wenn, ja wenn es nicht in der Schwäbischen Alb spielen würde. Ich kann mich leider nicht damit anfreunden, dass dort Shub-Niggurath hausen und ein solch "epochales" Geschehen stattfinden soll. Dies ist wie immer Geschmackssache, aber mir ist das ganze etwas zuviel des Guten. Wer sich aber nicht daran stört, kommt hier ansonsten voll auf seine Kosten.

Das blaue Tor" von Jan Christoph Steines spielt einige Monate nach "Unsere liebe Frau aus den Wäldern". Auf dem Bahnhof von Stuttgart warten die Charaktere auf einen Zug, als sie von einem kleinen Mädchen angesprochen werden. Ihr haben sie es zu verdanken, dass sie ihren Zug verpassen und plötzlich in der Rolle der vermeintlichen Erziehungsberechtigte dieses Mädchens wiederfinden und dementsprechend was zu hören bekommen vom Bahnpersonal. Schließlich ist ein Bahnhof im kühlem Spätherbst kein Spielplatz für ein sommerlich bekleidetes Mädchen! Das Mädchen ist plötzlich verschwunden, und nur eine Reisetasche bleibt den Helden. Als sie diese Durchsuchen, finden sie eine Tageszeitung des folgenden Tages! Im Laufe der Handlung nun geraten die Helden mit einem Zauberer aneinander, der das Mädchen für seine Zwecke benutzen will. Dieses ist seit dem operativen Eingriff eines Arztes in der Lage, einige Zauber anzuwenden. Einen hiervon hat sie genutzt, um die Charaktere auf ihre Spur zu lenken. Im Laufe der Handlung erkennen die Charaktere dann, was der Zauberer beabsichtigt und wie das Mädchen zu ihren Wunderfähigkeiten kam. Hinzu kommen als weitere Elemente noch eine Marienerscheinung, die gar keine ist, und eine Flut, die den Ort Blaubeuren zu vernichten droht. Dabei wird es den Charakteren nicht leicht gemacht, den Zauberer zu stellen. Dieser sorgt seinerseits dafür, dass die Helden eventuell in einem Gefängnis verschwinden (und dieses vielleicht gar nicht überleben) oder greift mit seinen Zaubern in das Geschehen ein. Er bevorzugt seine Opfer per Schweben-Zauber anzuheben um dann ihre Köpfe mit hoher Geschwindigkeit gegen die Decke/Wand zu rammen bis sie zermalmt sind. "Das blaue Tor" ist ein eher schwächeres Abenteuer. Ich finde die Motivation des Zauberers nicht wirklich überzeugend, und die Idee, die Mythosrasse der Flugkraken auf diese Art und Weise hier zu beheimaten äußerst aufgesetzt. Bestimmt ist es nicht das schlechteste je für Cthulhu erschienene Abenteuer, aber es erreicht nicht die Klasse von "Fluch des siebten Mondschattens" oder eben "Siegfriedslust".

33 Seiten liebevoll aufgemachter Handouts und noch ein Artikel über die Auswirkungen der Mythosbücher warten ferner auf den Leser. Der Artikel ist sehr nützlich, und ergänzt sich gut mit demjenigen aus dem Anhang zu "Kleine Völker".

Fazit: Ein netter Band, insbesondere für jemanden, der sich nicht daran stört, dass diese Abenteuer alle in Deutschland spielen. Mir aber wäre es lieber, es würden nun endlich einmal Abenteuer aus dem "Lovecraft County" auf Deutsch das Licht erblicken. Deutschland ist nun einmal nicht der Ort, wo die Großen Alten ruhen. Wenn man schon in Deutschland handelnde Abenteuer herausbringen will, dann sollten die sich eher mit dem Wirken von Zauberern und ihren Nachlässen beschäftigen. Denn ein beträchtlicher Teil der Mythosbücher, die in Amerika zu finden sind, sind gewiss einst aus Deutschland "importiert" worden. Aber ich schließe mich der Meinung von Andre an, daß es Schade ist, den Fokus auf Deutschland zu richten. Wie wäre es stattdessen z. B. einmal mit einer Deutschen Fassung von "Terror Australis", denn auf diesem Kontinent sind die Flugkraken beheimatet.


Um Ulm herum
von Tim Scharnweber, Steffen Schütte, Jan Christoph Steines, Frank Heller und Wolfgang Schiemichen
Pegasus Press; 2003
176 Seiten; € 22.80 (bei
Pegasus)