Zeitlose Ängste
Rezension von Karsten Sassenberg

Der 5 Band aus der Reihe „Cthuloide Welten Bibliothek“ enthält vier Szenarien, welche quer durch die verschiedenen Settings des CTHULHU-Rollenspieles gehen und somit zu verschiedenen Zeitepochen spielen. Drei davon sind so genannte „One-Shots“, sind also so konzipiert, dass man sie mit vorgefertigten Charakteren spielt.
Das Szenario „Daoloths erster Schleier“ spielt in Berlin, vorgeschlagen wird ein Zeitpunkt nach 1923, um glaubhaft eine Tagung von Physikern von Weltrang in Berlin anzusiedeln. Denn einige der für den Hintergrund dieses Szenarios wichtige Theorien wurden nicht vor 1923 formuliert. Das Szenario beginnt (wie so viele andere auch) mit einer Erbschaft, welche auch eine seltsame Münze beinhaltet. Diese ist fünfeckig und besteht aus einem unbekannten Metall. In den Erbschaftspapieren wird diese Münze nicht erwähnt. Während die SC diverse Experten aufsuchen und um Rat fragen, werden sie Zeuge seltsamer Ereignisse und Erscheinungen. Die Spuren scheinen alle zur oben erwähnten großen Physiker-Tagung zu führen. Werden die SC dort den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen und der Münze klären können? Das Reiz dieses Szenarios liegt nicht nur allein daran, das die Spieler historische Personen wie Albert Einsein, Max Planck oder Wolfgang Pauli treffen können. Vielmehr macht seine wirklich originelle Struktur (auch der schon oft benutzte Einstieg mit der Erbschaft ist tiefsinniger gestaltet als zuerst gedacht), sowie das fundierte Wissen des Autors (seines Zeichens selber Physiker) dieses Szenario zu einer Praline. Da es nicht als „One-Shot“ konzipiert ist, lässt es sich auch problemlos in eine eigene Kampagne einbetten.
„Last Men Standing“ spielt im Spätsommer 1931. Die Spieler sind allesamt Gangster im besten Capone-Stil und überfallen eine Bank. Doch es läuft nicht alles glatt, und sie liefern sich eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei, welche sie in die Wüste Arizonas führt. Nachdem sie endlich die Verfolger abgeschüttelt haben, brauchen sie ein neues Gefährt, da ihr derzeitiges doch bei der Verfolgungsjagd ordentlich gelitten hat, und landen in dem Nest „Heavens Gate“. Hier geraten die Gangster an Fieslinge der ganz besonderen Art, und schon bald, nach Einbruch der Nacht, beginnt die Jagd auf die SC. Ein Kampf ums Überleben beginnt, und natürlich wollen die Herren Gangster das Geld aus dem Banküberfall nicht verlieren, oder werdem sie gar sich gegenseitig betrügen. Klingt alles irgendwie bekannt? Im Vorwort werden als Inspiration die Filme „From Dusk Till Dawn“, „Last Man Standing“ und „Resident Evil“ genannt. Deren Stil wird auch gut getroffen. Das Szenario endet wie Tarantinos Kultfilm dann auch damit, das die SC sich einer Übermacht erwehren müssen. Aber ob so etwas sich auch spannend spielt? Ich hätte mir schon etwas mehr gewünscht. Als Pulp-Szenario nett, aber mehr nicht. Geschmackssache, aber für mich eine herbe Enttäuschung. Jeder halbwegs talentierte Spielleiter kann sich eine solche Handlung zusammenstricken. Bleiben nur die SC, denn wenn man gute Spieler hat, kann die Interaktion untereinander noch einiges retten. Ansonsten lieber einen der oben genannten Filme in den DVD-Spieler legen.
„Vom Winde verwest“ spielt in den 50er Jahren. Die Spieler übernehmen die Rolle drittklassiger Schauspieler, welche versuchen, mit Monsterfilmen (a la „Tarantula“, „Formicula“, „Schrecken vom Amazonas“) den Durchbruch zu schaffen. Während der Dreharbeiten zu dem aktuellen Streifen „Die Nacht der leidenden Reichen“ passieren immer wieder Unfälle. Einer der der SC wird hierbei verletzt und anschließend in einem Hospital geröntgt. Dort entdeckt der untersuchende Arzt, dass die Knochen des SC mit Schriftzeichen übersät sind. Der SC kann sich dies nicht erklären. Bald gehen die Dreharbeiten weiter, und dann kommen die SC einem Attentäter in der Filmcrew auf die Spur. Offensichtlich hat er vor, den SC zu ermorden, dessen Knochen beschriftet sind. Um dem Auftraggeber des Attentäters zu stellen, müssen die SC nach Vengeance reisen, einer Kleinstadt in Nevada. Hier wird es richtig geheimnisvoll, denn verschiedene Leute verhalten sich den SC gegenüber sehr verdächtig. Und was hat es mit dem Armeestützpunkt in der Nähe auf sich, in dem Atomversuche betrieben werden? Dieses Szenario ist ein nettes One-Shot. Da aber nur ein recht kleiner Teil der Handlungen in den Filmstudios stattfindet, kann es die geweckten Hoffnungen nicht so ganz erfüllen. Die Handlung in der Kleinstadt ist gut, aber doch recht konventionell. Der Text auf der Rückseite des Bandes zu diesem Szenario beginnt mit „Hollywood in den 1950erm. Die Charaktere sind B-Movie Schauspieler.“ Ich hätte mir da mehr Hollywood gewünscht. Dafür ist das Szenario mit stimmigen Motiven aus B-Movies dieser Zeit illustriert. Trotzdem ein gelungenes Szenario mit einem überraschendem Ende.
„Cold War - Kalter Krieg“ ist ein übersetztes Abenteuer aus einer schon lange vergriffenen Ausgabe des amerikanischen Magazins „The unspeakable Oath“. Dieses Szenario spielt in der Gegenwart in der kanadischen Stadt Toronto. Alle sind Mitglieder in einem Ithaqua-Kult (!). Zu Beginn erhält jeder die Nachricht, dass der Kult-Anführer ermordet wurde und sie alle sich im Hauptquartier des Kultes versammeln sollen. Jeder SC ist liebevoll ausgearbeitet und hat eigene Ziele. Dazu gibt es in Toronto noch einen anderen Kult, welcher einer anderen Gottheit huldigt, die in Konkurrenz zu Ithaqua steht. Offensichtlich hat dieser Kult den Mord begangen, und nun müssen die SC ihre Rache planen und durchführen. Dieses Szenario ist für erfahrene Spielleiter und Spieler gedacht. Diese aber werden ein Szenario genießen dürfen, das ein absoluter Knaller ist. Im Prinzip handelt es sich hierbei um ein Freeform (so bezeichnet man ein Art Larp, ohne detaillierte Kampfregeln etc.). Die SC haben sehr viel Freiheit, und der Spielleiter muss damit umgehen können. Würfeln etc. steht nicht so sehr im Mittelpunkt. Die Spieler sollten ruhig ermutigt werden, wie ihre SC zu agieren. Acht fertige SC liegen bei, und man sollte dieses Szenario mit mindstens 5 spielen, besser mit allen! Eine echte Perle des Rollenspiels haben die Jungs von PEGASUS hier ausgegraben, in der Tradition von „Unter Druck“ welches auch Pagan Publishing stammt.

Der Band ist wie gewohnt sehr liebevoll aufgemacht, mit schönem Layout und ansprechenden Illustrationen und Fotos. Reine Kampagnenspieler werden hier wenig fündig, denn nur ein Szenario ist kein One-Shot. Aber für jeden, der Mal für ein spontanes Zwischendurch etwas sucht, oder gar noch nie ein „One-Shot“ genossen hat, dem sei dieser Band ans Herz gelegt. Wer den Klassiker „Unter Druck“ mag, wird „Cold War“ lieben.


Zeitlose Ängste
von Ingo Ahrens, Scott David Aniolowski, Peer Kröger und Peter Schott
Pegasus Press; 2006
132 Seiten; € 16,95 (bei
Pegasus)